WISSING-Interview: Wir sollten uns auch mit Alternativen beschäftigen.
FDP-Präsidiumsmitglied und Verkehrsminister Dr. Volker Wissing gab der „BILD“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Thomas Block und Burkhard Uhlenbroich.
Er ist der Minister mit den meisten Baustellen in Deutschland: Verkehrs- und Digitalminister Volker Wissing (53, FDP) hat nicht nur mit einem maroden Schienennetz, sondern auch mit kaputten Autobahnbrücken und einer miesen Internetversorgung zu kämpfen.
Frage: Herr Wissing, vor einem Jahr haben Sie die Bahn zur Chefsache gemacht. Der Bürger spürt davon nichts: Aktuell kommt jeder dritte Fernverkehrszug zu spät.
Wissing: Ich kann nicht in kurzer Zeit das nachholen, was über Jahrzehnte verschleppt wurde. Wir werden mit Turbo-Baustellen einen Bahnkorridor nach dem anderen sanieren. Den Anfang macht im kommenden Jahr die ICE-Trasse zwischen Mannheim und Frankfurt – die meistbefahrene Strecke in Deutschland. Ab Juli 2024 wird sie für die Kompletterneuerung fünf Monate gesperrt. Es gibt Umleitungsstrecken und Schienenersatzverkehre. Danach wird es schrittweise deutlich besser für Fahrgäste und Logistiker. Mein Versprechen: Bis 2030 werden wir das modernste Bahnnetz in Europa mit nagelneuen Hochleistungskorridoren haben.
Frage: Und ab wann wird die Bahn so pünktlich sein, dass man die Uhr nach ihr stellen kann, wie Sie mal versprochen haben?
Wissing: Spürbare Verbesserungen wird es Ende 2024 geben, wenn die Sanierung der ersten Strecke abgeschlossen ist. Über sie fährt jeder siebte Zug in Deutschland, aktuell gibt es dort jeden Tag mindestens eine Betriebsstörung. Die Uhr nach der Bahn stellen kann man, wenn wir unseren Sanierungsplan vollständig umgesetzt haben, also spätestens 2030.
Frage: Wie hoch ist die Gefahr, dass es bei der Sanierung zu Bauverzögerungen kommt?
Wissing: Die Bahn tut alles dafür, dass es klappt. Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Sperrung einer der wichtigsten Bahnkorridore wird nicht ganz ohne Zumutungen gehen. Ich erwarte vom Bahnmanagement, dass diese Sanierung ein Erfolg wird – dazu zählt auch, dass die Bahn die Einschränkungen für die Bahnkunden auf ein Minimum reduziert. Auf die Umsetzung werde ich auch persönlich achten.
Frage: Die Bahngewerkschaft EVG fordert ein 100-Milliarden-Euro-Paket zur Sanierung der Schiene. Wie viel werden Sie geben?
Wissing: Es ist weder finanziell noch logistisch möglich, kurzfristig 100 Milliarden Euro in das Bahnnetz zu investieren und zu verbauen. Die Lösung ist ein perfekt organisiertes Baustellenmanagement, damit die Auswirkungen auf den Personen- wie Güterverkehr so gering wie möglich bleiben. Hier muss die Bahn besser werden, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Frage: Die Sanierung der Schiene kostet Geld. Wie viel können Sie der Bahn konkret zusagen?
Wissing: Die Bahn bekommt aus der mittelfristigen Finanzplanung und dem Klima- und Transformationsfonds zusätzliche Mittel von 24 Milliarden Euro. Darüber hinaus erbringt die Bahn einen Eigenbeitrag von drei Milliarden Euro, den sie über einen Kredit am Kapitalmarkt finanziert. Wir prüfen, ob der Bahn zum Abbau des Investitionsstaus weitere Mittel über eine Eigenkapitalerhöhung zur Verfügung gestellt werden können.
Frage: Laut Bahn braucht es aber 45 Milliarden Euro für die nötigen Sanierungen.
Wissing: Die Bahn hat einen Mehrbedarf genannt von 45 Milliarden bis 2027. Wir werden die ausstehenden Mittel in den kommenden Jahren aufbauen und alles dafür tun, den gewaltigen Investitionshochlauf fortzusetzen.
Frage: Nächste Woche beginnt die Automesse IAA in München. Gehört die Zukunft wirklich ausschließlich dem Elektroauto?
Wissing: Das Rennen um den Auto-Antrieb der Zukunft ist völlig offen. Wir können unmöglich heute schon vorhersagen, welche Technologie sich im Jahr 2040 durchgesetzt haben wird. Möglicherweise werden E-Fuels und Wasserstoffbrennstoffzellen eine größere Rolle spielen, als sich das manche wünschen.
Frage: Wie wollen Sie für mehr Antriebs-Offenheit sorgen?
Wissing: Ich habe dafür gesorgt, dass Verbrenner, die ausschließlich E-Fuels tanken, auch nach 2035 noch zugelassen werden können. Im Vorfeld der IAA habe ich zu einer E-Fuels-Konferenz eingeladen, an der zahlreiche Minister, Wissenschaftler, Forscher und Wirtschaftsvertreter aus der ganzen Welt teilnehmen werden. Wir sind nicht allein mit der Beobachtung, dass die Elektromobilität noch zu viele Fragen offen lässt – von der Bezahlbarkeit über die Verfügbarkeit von Lithium für die Akkus bis hin zur Ladeinfrastruktur. Solange diese Fragen offen sind, sollten wir uns auch mit anderen Alternativen beschäftigen. Wir wollen ein klares Signal senden: Wir brauchen E-Fuels, auch im Straßenverkehr – schon allein für die Millionen Bestandsfahrzeuge.