STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Es ist unsere Aufgabe, die Sicherheit Deutschlands und Europas zu gewährleisten.
FDP-Präsidiumsmitglied Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab der „WirtschaftsWoche online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Max Biederbeck.
Frage: Frau Strack-Zimmermann, wo stand die Bundeswehr vor zwei Jahren, wo ist sie heute, wo muss die Reise hingehen?
Strack-Zimmermann: Wenn Sie die Zeit vor zwei Jahre betrachten, befinden wir uns heute in einer anderen Welt und Lichtjahre von der damaligen Politik entfernt. Wir haben ein 100-Milliarden-Sondervermögen auf den Weg gebracht, um die Bundeswehr zu modernisieren und die überfallene Ukraine zu unterstützen. Wir sind aus dem Dornröschenschlaf gerissen worden und sind jetzt auf dem Weg, Fähigkeiten aufzubauen, um das Land im Bündnis gegen Angriffe von Außen zu verteidigen.
Frage: Das heißt?
Strack-Zimmermann: Die Soldatinnen und Soldaten und auch viele Bundesbürger haben längst verstanden, in welcher Realität wir sicherheitspolitisch angekommen sind. Mit seinen neuen Reformen macht es der Minister jetzt genau richtig. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der veralteten Strukturen und der lähmenden Ministerialbürokratie, an die herangegangen werden muss, auch wenn es den einen oder anderen Schmerzen sollte. „Am Freitag um Eins, macht jeder seins“ ist vorbei. Es muss ein wirkungsvolles System entstehen, dass unsere Bedarfe definiert und den Herstellern militärischen Materials langfristig Planungssicherheit garantiert. Die Industrie muss selbstverständlich dann auch zuverlässig liefern und ihrer Aufgabe nachkommen.
Frage: Eine Reform der Beschaffung und der Bürokratie wird seit Jahren gefordert. Experten sehen nun sogar einen gegenteiligen Trend, den Rückfall in den Friedensmodus.
Strack-Zimmermann: Natürlich gibt es Männer und Frauen, die sich schwer tun, ihre Arbeitsweise der Realität anzupassen – auch im Ministerium. Da wird sich der Minister durchsetzen – und von oben nach unten konsequent führen müssen. Wenn Sie aber bei der Truppe sind, sehen Sie in engagierte und zufriedene Gesichter, sobald das neue Material sie erreicht. Die Maßnahmen beginnen zu wirken. Und deswegen stelle ich mich aktuell auf die Seite derer, bei denen das Glas halbvoll und nicht halbleer ist.
Frage: Die Industrie liefert also ab?
Strack-Zimmermann: Viele Firmen stellen mehr Mitarbeiter ein und erweitern ihre Fertigungsanlagen. Nehmen Sie beispielsweise das Unternehmen, welches zur Abwehr von Hubschraubern, Flugzeugen, Drohnen und Kurzstreckenraketen das Flugabwehr-Raketen-System IRIS-T herstellt. Dieses System rettet täglich hunderten Menschen in der Ukraine das Leben. Jetzt wird die Kapazität deutlich hochgefahren. Wo wir vor knapp zwei Jahren blank standen, wird jetzt produziert. Die Rüstungsindustrie scheint mir, sofern sie langfristige Verträge bekommt, bereit zu sein. Die Frage ist, sind wir es als Gesellschaft.
Frage: Der Minister spricht am heutigen Freitag auf der Bundeswehrtagung mit Soldatinnen und Soldaten über die nächsten Herausforderungen der Zeitenwende. Es geht um das Szenario multipler Konflikte. Von der Sahelzone über den Nahen Osten, dem Westbalkan und der Ukraine. Ist denn die Bundeswehr überhaupt dafür bereit?
Strack-Zimmermann: Seit 2014, nach der russischen Annexion der Krim, rückte die Landes- und Bündnisverteidigung wieder in den Vordergrund. Die internationalen Einsätze schienen weniger relevant. Beides wird aber von Bedeutung sein. Auch Auslandseinsätze werden weiter eine Rolle spielen, um in Krisenregionen stabilisierend zu wirken, und um gegebenenfalls zu verhindern, dass Massenflucht und Terror den europäischen Kontinent erreichen. Wir müssen die Konflikte analysieren, priorisieren und gemeinsam mit der EU, der NATO oder der UN auf sie reagieren.
Frage: Die Inspekteure der Bundeswehr betonen, dass die Truppe schon jetzt am Anschlag arbeitet, um die Ukraine zu unterstützen. Noch einmal: Wie soll da noch mehr gehen?
Strack-Zimmermann: Wir sind immer im Verbund unterwegs. Kein Land kann alleine in Sicherheit leben bzw. sich wirkungsvoll verteidigen. Jedes Land hat bestimmte Fähigkeiten, die zusammengeführt ein Ganzes bilden. Wenn wir also gezielt in unsere Fähigkeiten investieren, stärken wir damit das ganze Bündnis. Ich spreche von Arbeitsteilung bei der Abwehr multipler Krisen. Raushalten und sich wegducken ist jedenfalls für eine so große Volkswirtschaft wie Deutschland keine Option und bestenfalls naiv.
Frage: Wie stark sehen Sie die Nato nach den vergangenen zwei Jahren und in Anbetracht des wachsenden Drucks im Mittleren Osten und im Pazifik?
Strack-Zimmermann: Die Partner rücken auch in Europa enger zusammen. Möglicherweise wird es noch viele Jahrzehnte dauern, aber eines Tages werden wir bestenfalls neben den nationalen Armeen gemeinsam eine starke europäische verteidigungsbereite Streitkraft bilden.
Frage: Gerade sieht es eher nicht danach aus. Bald könnte Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen. Damit droht ein Cut für die Ukraine-Hilfe und auch ein Cut für die Nato. Das steht solchen Träumen entgegen, oder?
Strack-Zimmermann: Uns verbindet mit den USA eine tiefe Freundschaft. Wir haben in der Tat erleben müssen, dass sich mit Präsident Trump Selbstverständlichkeiten auflösten. Joe Biden dagegen ist ein verlässlicher Partner, der um die strategische Bedeutung Europas weiß. Ohne die US-militärische Unterstützung wäre unsere Sicherheit heute nicht gewährleistet. Wir müssen daher in Europa Sicherheitspolitik anders denken, anstatt auf die nächste US Wahl zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange.
Frage: Aber genau das passiert doch gerade, alle starren?
Strack-Zimmermann: Wir haben es in Europa in den vergangenen drei Jahren in der „Trumpfreien“ Zeit versäumt, uns mehr um unsere Sicherheit zu kümmern. Wohl wissend, dass wir uns nicht nur und immer auf die USA verlassen können.
Frage: Mit den US-Wahlen kommendes Jahr steht dieser Wandel unmittelbar vor der Tür. Ganz konkret: Was, wenn Donald Trump dann auf die Bühne tritt und nicht mehr mitspielen möchte?
Strack-Zimmermann: Ich spekuliere nicht. So oder so müssen wir uns emanzipieren und innerhalb der NATO eine stabile europäische Säule aufbauen.
Frage: Wie?
Strack-Zimmermann: In der kommenden Legislatur plant die EU einen Verteidigungsausschuss zu etablieren. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine arbeiten die EU-Staaten sicherheitspolitisch deutlich enger zusammen. Der seit 2017 existierende Europäische Friedensfazilität-Fonds wurde mit mehr Mitteln ausgestattet und eine gemeinsame Munitionsbeschaffung organisiert. Das wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen.
Frage: Und Deutschland im Speziellen?
Strack-Zimmermann: Deutschland ist das viertwohlhabendste Land der Erde. Die EU-Partner warten darauf, dass wir bereit sind, Führung zu übernehmen. Das betrifft übrigens auch die Unterstützung und Lieferung militärischen Materials an die Ukraine.
Frage: Das wird Geld kosten. Nach 2026 wird das Sondervermögen aber aufgebraucht sein. Dann erzeugen neu eingekaufte Panzer und Kampfflugzeuge auch noch Folgekosten. Expertinnen sind sich einig, dass die Mittel hinten und vorne nicht reichen werden.
Strack-Zimmermann: Sobald das 100-Milliarden-Sondervermögen verplant ist, werden wir spätestens 2026/27 das Zweiprozentziel im Haushalt verankert haben. Das ist nicht nur die Ansage unseres Finanzministers, sondern auch die des Kanzlers, des Verteidigungsministers und der Außenministerin.
Frage: Allein der Plan dafür scheint zu fehlen… Hinter den Kulissen witzeln einige Abgeordnete schon über ein zweites Sondervermögen.
Strack-Zimmermann: Wir brauchen eine entsprechend solide mittel- und langfristige Finanzplanung und kein weiteres Sondervermögen.
Frage: Aber woher sollen die zehn bis 20 Milliarden Euro mehr im Jahr für die Verteidigung plötzlich kommen?
Strack-Zimmermann: Es ist unsere Aufgabe, die Sicherheit Deutschlands und Europas zu gewährleisten. Das ist die Basis einer intakten Gesellschaft. Wenn die innere und äußere Sicherheit nicht garantiert ist, dann werden wir über andere Themen definitiv nicht mehr sprechen.
Frage: Ihren Kampfgeist in Ehren, aber bereits dieses Jahr gab es heftigen Streit um den Haushalt, ihr Parteichef Christian Lindner (FDP) will sparen. Markige Worte ändern das nicht?
Strack-Zimmermann: Einen Haushalt aufzustellen, ist eine Königsdisziplin. Natürlich diskutieren die verschiedenen Ressorts über die Verteilung des Geldes. Das ist so alt wie die Menschheit. Umso wichtiger ist es, genau hin zu schauen, wohin das Geld fließt, sonst würde dieser Haushalt komplett geplündert werden und zwar auf Kosten der nachfolgenden Generationen.
Frage: Das beantwortet noch nicht meine Frage, wo das Geld herkommen soll…
Strack-Zimmermann: Wenn Sie in eine Wohnung ziehen, sollten sie die Türen und Fenster sichern. Ansonsten brauchen Sie sich keine Gedanken mehr über Ihre Einrichtung zu machen. Wenn Sie in Kriegsgebieten unterwegs sind, nehmen Sie die Ukraine, dort kämpfen die Menschen seit 18 Monaten ums nackte Überleben. Sicherheit ist elementar und muss uns etwas wert sein. Das muss jedem klar sein. Und wem es nicht klar ist, dem sollten wir es erklären.