LINDNER-Interview: Verlängerung der Gastro-Mehrwertsteuer wäre drin gewesen
Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen, Christian Lindner, gab der „Bild am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Filip Piatov und Burkhard Uhlenbroich.
Frage: Herr Lindner, können Sie trotz des 60-Milliarden-Euro-Haushaltslochs nachts noch schlafen?
Lindner: Ja.
Frage: Bereuen Sie manchmal, das Finanzministerium übernommen zu haben?
Lindner: Nie. Ich kämpfe jeden Tag, dass mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sorgfältig gewirtschaftet wird. Die deutsche Schuldenquote sinkt seit 2021 wieder. Das hilft gegen die Inflation. Und die Koalition senkt die Steuerlast, obwohl SPD und Grüne wieder Steuererhöhungen auf ihren Parteitagen beschließen werden. Es ist nicht einfach, aber hier hat man Einfluss.
Frage: Die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wird aber im Januar von 7 auf 19 Prozent erhöht. Müssen sich die Deutschen doch auf weitere Steuererhöhungen gefasst machen?
Lindner: Die Gastro-Mehrwertsteuer war eine Krisenhilfe, die aufgrund der Entscheidungen der Großen Koalition schon dieses Jahr entfallen wäre. Das konnte ich für 2023 verhindern. Wenn alle Parteien an einem Strang gezogen hätten, wäre eine weitere Verlängerung drin gewesen. SPD und Grüne hatten aber andere Prioritäten. Ich verstehe, dass viele es bedauern. Aber die Rückkehr zur Normalität muss man akzeptieren.“
Frage: Können Sie versprechen, dass es keine Steuererhöhungen mit Ihnen gibt?
Lindner: Mehr noch, wir entlasten die Menschen. So bleibt die Mehrwertsteuer auf Gas länger niedrig, die Stromsteuer sinkt für das produzierende Gewerbe. Vor allem aber werden wir bei der Einkommensteuer um rund 15 Milliarden Euro entlasten. Zum Beispiel wird der Grundfreibetrag von 10.908 auf 11.784 Euro steigen, der Kinderfreibetrag von 6024 auf 6612 Euro. Die arbeitende Bevölkerung habe ich im Blick. Es darf nicht sein, dass in der Inflation nur Sozialleistungen steigen.
Frage: War es Ihre Idee, die 60 Milliarden Euro Corona-Mittel einfach in den Klimatransformationsfonds zu stecken?
Lindner: Nein, das war ein Koalitionskompromiss vor meinem Amtsantritt. Aber den habe ich akzeptiert, weshalb ich mich jetzt nicht wegducke. Das Vorgehen haben wir als rechtlich verantwortbar eingeschätzt, weil auch die CDU-geführte Vorgängerregierung 2020 schon einmal 26 Milliarden Euro in den Fonds überführt hatte. Jetzt wissen wir, dass es diesen Weg nicht gibt.
Frage: Dem Staat fehlen diese 60 Milliarden und Sie müssen Ausgaben streichen. Müssen die Deutschen den Gürtel enger schnallen?
Lindner: Es fehlen in der Zukunft staatliche Finanzmittel, die für die Erneuerung von Wirtschaft und Infrastruktur vorgesehen waren. Prinzipiell hat dieser Staat aber kein Einnahmeproblem. Seit einem Jahrzehnt wachsen lästige Bürokratie, teils leistungsfeindliche Umverteilung und planwirtschaftliche Subventionen. Wir müssen jetzt mit weniger Geld wirksamere Politik machen.
Frage: Das hört sich nach einer Streichliste an.
Lindner: Nein, es ist ein Wendepunkt. Es gibt kein Weiter-so. Es liegt an uns, ob das ein Risiko oder eine Chance ist.
Frage: Wirtschaftsminister Robert Habeck hat es vor einigen Monaten etwas anders formuliert. Er hat gesagt, wenn diese Klage erfolgreich sei, würde das Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen. Stimmen Sie ihm zu?
Lindner: Die kurzfristigen Folgen sind hart. Langfristig können wir uns Vorteile erarbeiten. Wir werden jetzt gezwungen, mit weniger öffentlichen Subventionen die Wirtschaft zu modernisieren. Es geht jetzt um weniger Bürokratie, agilere Verwaltung, Technikfreundlichkeit und die Mobilisierung privaten Kapitals für Investitionen. Gute Wirtschaftspolitik muss kein Geld kosten, wenn sie den Unternehmergeist anfacht. Jetzt muss jeder einsehen, dass auch immer weiter steigende Erwartungen an den Staat nicht erfüllt werden können.
Frage: Sie haben schon konkrete Ausgaben, die jetzt gestrichen werden sollten?
Lindner: Die größten Veränderungen ergeben sich erst in der Zukunft im Bereich der Wirtschaftsförderung. An neuen Konzepten arbeiten wir.
Frage: Wird die Schuldenbremse fallen, damit die Lieblingsprojekte der Grünen bezahlt werden können?
Lindner: Die Schuldenbremse ist Verfassungsrecht, hier geht es nicht um Parteipolitik. Außerdem hat sie ihre Verdienste, denn sie schützt die Bürgerinnen und Bürger vor untragbarer Schuldenlast und zwingt die Politik zu Entscheidungen.
Frage: Sie sind der erste Finanzminister, der einen verfassungswidrigen Haushalt zu verantworten hat. Ärgert Sie das?
Lindner: Das Bundesverfassungsgericht hat sich zum ersten Mal umfassend mit der Schuldenbremse befasst. Wir haben neue Klarheit. Hätte es diese vor zwei Jahren gegeben, wäre anders entschieden worden. Jetzt sehe ich das Urteil als Auftrag. Die neue Rechtsklarheit ist kein Anlass, die Schuldenbremse zu schleifen, sondern sie zu stärken.
Frage: Es gibt einen Bericht, wonach die Bundesregierung die Feststellung einer Notlage und das Aussetzen der Schuldenbremse für 2023 erwägt. Trifft dies zu?
Lindner: An Spekulationen beteilige ich mich nicht. Die Bundesregierung prüft, was aus dem Urteil folgt.
Frage: Ist das Bürgergeld jetzt noch finanzierbar?
Lindner: Die Kostensteigerungen können nicht so weitergehen. Wir müssen dafür mehr Menschen in Arbeit bekommen. Wer sich da verweigert, kann nicht auf Solidarität zählen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass sich Arbeit immer lohnt. Im Zusammenspiel von Bürgergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag und anderen Sozialtransfers stellen sich zu viele Menschen die Frage, ob Arbeit noch Sinn macht. Mir geht es dabei nicht zuerst um Einsparungen für den Staat, sondern um Gerechtigkeit.
Frage: Sie wollen jetzt einen neuen Wirtschaftsplan für den Klimafonds erarbeiten. Also gehen Sie davon aus, dass die Ampelkoalition das überstehen wird?
Lindner: Wir sind seit 2021 fortwährend in einem Krisenmodus. Das härtet ab.
Frage: Ihre Partei steht aktuell in Umfragen bei fünf Prozent, nicht einmal halb so viel wie bei der Bundestagswahl. Sind Sie schuld?
Lindner: Als Parteivorsitzender kenne ich das Auf und Ab. Gewählt wird später, jetzt ist Problemlösung statt Wahlkampf angesagt.“
Frage: Hat das Amt Sie verändert oder haben Sie das Amt verändert?
Lindner: Das Finanzministerium setzt sicher mehr auf Freiheit, Marktwirtschaft und Entlastung, seit ich hier arbeite. Aber auch mich hat umgekehrt das Amt verändert. Ich spüre die Verantwortung, die dieses Amt mit sich bringt.