Finn Ole Ritter in WELT: „Hamburger Zukunftsentscheid“ Ein Schnellschuss, der Hamburg mehr schadet, als nützt

Am 12. Oktober 2025 sollen die Bürger Hamburgs darüber entscheiden, ob die Hansestadt fünf Jahre früher als bisher geplant klimaneutral werden soll. Das wäre ein teurer Irrweg, schreibt der Hamburger FDP-Landesvorsitzende Finn Ole Ritter in einem Gastbeitrag.

Finn Ole Ritter

Foto: Peer Fischer

Der „Hamburger Zukunftsentscheid“, der am 12. Oktober 2025 zur Abstimmung steht, verspricht eine beschleunigte Klimaneutralität bis 2040. Dieses Ziel klingt im ersten Moment ehrenwert und ambitioniert. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die Initiative jedoch als ein unrealistisches und potenziell verheerendes Vorhaben für unsere Hansestadt. Wir lehnen diesen „Zukunftsentscheid“ ab, weil wir an einen Klimaschutz glauben, der realistisch, wirtschaftlich tragfähig und sozial gerecht ist – und nicht an Symbolpolitik auf Kosten der Hamburgerinnen und Hamburger.

Gerade weil das Thema Klimaschutz so wichtig ist, müssen wir zur Erreichung der Ziele diejenigen Mittel und Methoden nutzen, die auch Erfolg versprechend sind. Der Zukunftsentscheid hingegen ist ein Schnellschuss, der Hamburg mehr schadet, als nützt.

Die Illusion der Beschleunigung: ein unrealistisches Versprechen

Die Kernforderung des Entscheids, Hamburgs Klimaneutralität von 2045 auf 2040 vorzuziehen, basiert auf einem Wunschdenken, das die Realität ignoriert. Obwohl die Initiative behauptet, ihr vorgezogenes Ziel sei im bundesweiten Vergleich wettbewerbsfähig, fehlen die Beweise für seine tatsächliche Umsetzbarkeit. Der Hamburger Senat selbst hat betont, dass ihm keine wissenschaftlichen Studien vorliegen, die eine Klimaneutralität für die gesamte Stadt bis 2040 belegen.

Die von den Befürwortern ins Feld geführte OECD-Studie der Handelskammer konzentriert sich ausschließlich auf den Wirtschaftssektor und ist daher keine umfassende Machbarkeitsstudie für die gesamte Stadt. Sie ignoriert den immensen und komplexen Transformationsbedarf in so kritischen Sektoren wie der Energieversorgung, dem Verkehr und vor allem im Wohnungsbau. Selbst das weniger ambitionierte 2045-Ziel wird von Experten als „sehr ehrgeizig“ bewertet.

Zudem zeigen Beispiele aus anderen Bundesländern, dass „schnell“ nicht immer „gut“ bedeutet. Baden-Württemberg wird die Klimaziele der ersten Stufe voraussichtlich nicht erreichen. Wir sollten nicht mit der Brechstange versuchen, ein paar Jahre früher klimaneutral zu werden, wenn dies am Ende nur zu einem Scheitern führen kann.

Die unbezahlbare Last

Das Versprechen der „verpflichtenden sozialen Verträglichkeit“ ist ein abstraktes Lippenbekenntnis ohne konkrete Antworten. Es delegiert die immensen Kosten einfach an den Staat und damit an den Steuerzahler. Die Fakten sind dramatisch und müssen klar benannt werden:

Explosion der Wohnkosten: Allein die Dekarbonisierung des Hamburger Wohngebäudebestands wird auf mindestens 40 Milliarden Euro geschätzt. Die Wohnungswirtschaft warnt zu Recht, dass diese Investitionen unweigerlich zu „deutlich höheren Mieten“ führen würden. Das würde ausgerechnet jene Hamburgerinnen und Hamburger am härtesten treffen, die ohnehin schon mit steigenden Lebenshaltungskosten zu kämpfen haben.

Gefährdung des Landeshaushalts: Die Initiative würde den Senat zwingen, jährlich zusätzliche Millionenbeträge für Subventionen auszugeben, beispielsweise zur Abfederung von Mieterhöhungen oder zur Bezuschussung des ÖPNV. Diese gigantischen Summen stehen nicht zur Verfügung. Sie müssten an anderer Stelle eingespart werden – bei unseren Schulen, Kitas oder der öffentlichen Sicherheit. Eine neue, teure Kontrollinstanz mit circa 200 Mitarbeitern würde die Bürokratie massiv aufblähen und den Haushalt zusätzlich belasten.

Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen: Die überstürzten CO₂-Sparmaßnahmen würden die Hamburger Wirtschaft mit erheblichen Zusatzkosten belasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit schwächen. Hamburgs Hafen, Logistik und die energieintensiven Industrien (wie Aurubis und ArcelorMittal) sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Sie sichern hunderttausende Arbeitsplätze. Wenn Betriebe ins Umland oder sogar ins Ausland abwandern, ist nicht nur Hamburg, sondern auch dem Klima nicht gedient, da dort oft mit niedrigeren Standards produziert wird.

Wirkungslose Symbolpolitik

Klimaschutz ist ein globales Problem, das globale Lösungen braucht – und keine kostspieligen Alleingänge eines kleinen Stadtstaates. Mit einem Anteil von gerade einmal 0,001 Prozent an den weltweiten CO₂-Emissionen und einem Prozent am deutschen Ausstoß ist Hamburgs Alleingang eine wahnwitzige Ausgabenschlacht für einen Effekt, der global nicht einmal messbar ist. Der angebliche „Vorteil“ einer „regionalen Führungsrolle“ ist eine Illusion, die die realen Schäden für unsere Wirtschaft verharmlost.

Der Weg der EU, mit dem Emissionshandel (EU-ETS) einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen, ist der richtige Weg. Das ist Klimaschutz mit Vernunft, der die Marktwirtschaft nutzt, um die effizientesten Lösungen zu finden.

Unsere Vision: Klimaschutz mit Vernunft und Realismus

Als FDP nehmen wir den Klimaschutz sehr ernst, aber wir lehnen „Fesseln“ und Verbotskultur ab. Wir setzen auf einen wirtschaftsfreundlichen, technologieoffenen Ansatz.

Marktwirtschaftliche Anreize statt dirigistischer Regulierung: Die besten Klimaschutzmaßnahmen sind jene, die sich rechnen. Eine konsequente CO₂-Bepreisung, wie sie der EU-Emissionshandel vorgibt, setzt klare Anreize für Unternehmen, in Innovationen zu investieren. Sie lässt den Markt die effizientesten Wege zur Emissionsreduktion finden, anstatt dass eine neue Hamburger Behörde starre, teure Vorschriften machen muss. Innovation entsteht nicht durch Zeitdruck, sondern durch Anreize und Freiräume.

Planungssicherheit statt jährlicher Hektik: Die Initiative fordert jährliche CO₂-Budgets, was für unsere Unternehmen, deren Investitionszyklen oft fünf Jahre und länger sind, massive Unsicherheit schafft. Wir brauchen langfristige, planbare Rahmenbedingungen, die es unserer Wirtschaft erlauben, die Transformation geordnet und erfolgreich zu gestalten.

Soziale Gerechtigkeit durch Wohlstand, nicht durch Subventionen: Die beste soziale Absicherung ist ein starker Wirtschaftsstandort mit sicheren Arbeitsplätzen. Anstatt teure Sanierungen mit „Gießkannen-Subventionen“ zu finanzieren und die Mieten so zu erhöhen, brauchen wir gezielte Unterstützung für Härtefälle und eine Politik, die Wohnraum nicht durch immer neue Auflagen unbezahlbar macht.

Der „Zukunftsentscheid“ ist nicht der Weg in die Zukunft, sondern ein teurer Umweg. Er ruiniert Hamburgs Wirtschaft und verunsichert seine Bürger, ohne einen wirklichen Beitrag zur Lösung des globalen Klimaproblems zu leisten. Wir können Klimaschutz viel besser erreichen: mit professionellen, marktwirtschaftlichen Mitteln und zu tragbaren Kosten.

Klimaschutz ist wichtig! Darum lieber ordentlich machen als hektisch verschlimmbessern! Am 12. Oktober 2025 haben die Bürger der Hansestadt die Chance, Hamburg vor teurem Aktionismus zu retten. Zukunft gescheit anstatt Zukunftsentscheid!