DJIR-SARAI-Interview: Wer Freiheit will, muss bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) und der „Süddeutschen Zeitung online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Henrike Rossbach.

Bijan

Frage: Herr Djir-Sarai, am Samstag müssen Sie Ihre Partei beim Dreikönigstreffen in Stuttgart mit einer motivierenden Rede aufs neue Jahr einstimmen. Angesichts des Zustands der FDP ein schwieriges Unterfangen, oder?

Djir-Sarai: Dreikönig ist ein besonderes Treffen für die FDP, eine Veranstaltung mit sehr viel Tradition. Egal wie das Jahr davor war, ob schwierig, mittelschwierig oder sehr schwierig, egal ob wir in der Regierung sind oder in der Opposition - mit Dreikönig fängt das Jahr für die FDP neu an. Diese Veranstaltung ist Balsam für die Seele der Partei.

Frage: Welche Schwerpunkte will die FDP dieses Jahr setzen?

Djir-Sarai: Im Vordergrund steht die wirtschaftliche Entwicklung; in finanz- und haushaltspolitischen Fragen vertreten wir klare Positionen. Auch die Migrationsdebatte wird eine Rolle spielen. Wir werden als starke FDP einen entscheidenden Beitrag leisten, die Probleme in unserem Land zu lösen.

Frage: Von 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl sind Sie in den Umfragen auf fünf Prozent abgerutscht. Sie sind aus drei Landtagen geflogen, aus zwei Landesregierungen, und die übrigen Wahlen liefen auch nicht berauschend. Von einer „starken FDP“ sind Sie weit entfernt.

Djir-Sarai: Als FDP haben wir Erfahrung mit ähnlichen Situationen. Ein Jahr vor der letzten Bundestagswahl lagen wir in den Umfragen bei vier Prozent und wurden auch damals gefragt: Wie kommen Sie da jemals wieder raus? Am Wahltag haben wir dann zum zweiten Mal hintereinander zweistellig abgeschnitten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch dieses Mal schaffen. Entscheidend ist, welchen Beitrag wir leisten, um die zentralen Aufgaben dieses Landes zu lösen. Der wirtschaftliche Zustand Deutschlands wird das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl stark beeinflussen.

Frage: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse hat der koalitionsinterne Streit über den Haushalt die Ampel an ihre Grenzen gebracht. Fürs erste soll die Schuldenbremse 2024 eingehalten werden. Ein Sieg der FDP?

Djir-Sarai: Das Urteil ist eine Bestätigung für eine solide Finanzpolitik. Bei dem einen oder anderen Koalitionspartner mag die Interpretation anders sein. Meine Schlussfolgerung ist, dass wir die Schuldenbremse stärken müssen - nicht aufweichen oder gar umgehen. Denn in Zeiten hoher Inflation und steigender Zinsen wäre eine ausufernde Schuldenpolitik ein großer Fehler.

Frage: Ihre Koalitionspartner aber stellen die Einhaltung der Schuldenbremse schon wieder in Frage. Die einen argumentieren mit den massiven Angriffen Russlands auf die Ukraine, durch die die Waffenvorräte der ukrainischen Armee stark dezimiert werden. Die anderen verweisen auf die Flut in Niedersachsen. Beide sagen: Der Bund muss mehr helfen, die Schuldenbremse muss ausgesetzt werden.

Djir-Sarai: Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem. Wir müssen uns stattdessen intensiv mit Konsolidierungspotenzialen beschäftigen und Staatsausgaben kritisch prüfen. In den Verhandlungen zum Haushalt hat die FDP deshalb wiederholt klargestellt, dass es keine Steuererhöhungen geben wird und dass die Schuldenbremse nicht aufgeweicht wird. Der Staat muss mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auskommen und darf nicht immer neue Schulden aufnehmen. Diese Position ist im Übrigen ein Alleinstellungsmerkmal der FDP. Selbst die Union ist hier umgekippt.

Frage: Nachdem die Regierung sich auf Sparmaßnamen geeinigt hat, war es aber Ihre Fraktion, die ein Element der Einigung – die Subventionskürzungen in der Landwirtschaft – sofort für nicht zustimmungsfähig erklärt hat.

Djir-Sarai: Das sind die üblichen Haushaltsdebatten eines selbstbewussten Parlaments. Im parlamentarischen Prozess erfahren einzelne Regierungsvorhaben immer Veränderungen.

Frage: In Ihrer Partei gibt es einigen Unmut über den Zustand der FDP. Das zeigt auch die Mitgliederbefragung über den Verbleib in der Koalition. Wie interpretieren Sie das knappe Votum gegen einen Austritt aus dem Bündnis mit SPD und Grünen?

Djir-Sarai: Für mich ist dieses Ergebnis sehr wichtig. Drei Dinge sind dabei deutlich geworden: Erstens, die FDP ist eine Mitmachpartei. Keine andere Partei im Deutschen Bundestag hält in ihrer Satzung so ein basisdemokratisches Instrument vor. Kevin Kühnert…

Frage: …, der Generalsekretär der SPD, …

Djir-Sarai: …hat mich gefragt, ob in der FDP tatsächlich 500 Unterschriften für eine Mitgliederbefragung reichten. Er konnte das nicht glauben! Zweitens: Wir sind die Partei der Digitalisierung. Einen derart komplexen Prozess innerhalb eines so kurzen Zeitraumes technisch sauber und digital durchzuführen, ist eine beeindruckende Leistung der Parteizentrale. Der dritte Punkt ist die politische Bewertung: Die Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder hat sich dafür ausgesprochen, dass die FDP weiter Verantwortung für das Land übernimmt. Das ist ein gutes Ergebnis.

Frage: Aber es war knapp: Gut 52 Prozent gegen einen Ausstieg aus der Ampel, knapp 48 Prozent dafür.

Djir-Sarai: Von den knapp 66.000 Stimmberechtigten haben gerade mal um die 12.000 für den Ausstieg votiert. Das sind knapp 19 Prozent. Daraus kann man beileibe keine Massenbewegung ablesen. Das Ergebnis der Befragung ist ein Stimmungsbild. Ich bin sowohl Generalsekretär derjenigen, die die FDP weiter in Verantwortung sehen wollen, wie auch derjenigen, die mit der FDP einen anderen Weg gehen würden. Uns alle eint der Gedanke, dass wir eine erfolgreiche FDP wollen, die einen echten Beitrag zur Lösung der Probleme des Landes leistet. Deshalb werde ich mit den Initiatoren der Befragung auch nochmal reden.

Frage: Ist es nicht vielleicht sogar praktisch, dass die Befragung knapp ausgegangen ist? Beim nächsten Ampel-Streit können Sie darauf verweisen, dass Sie auf ihre Basis Rücksicht nehmen müssen.

Djir-Sarai: Das wäre nicht fair gegenüber den Koalitionspartnern. Hinter dem Ergebnis steht allerdings auch ein Auftrag: Dass wir uns in der Regierung noch klarer artikulieren und noch mehr für unsere Positionen kämpfen.

Frage: Mehr kämpfen heißt: mehr streiten?

Djir-Sarai: Journalisten schreiben gerne, es gebe nur Streit in der Koalition. Ich finde aber, das gehört dazu. Wenn das Streiten parteipolitisch oder taktisch motiviert wäre, wäre es schlecht. Aber Auseinandersetzungen, die inhaltlicher Natur sind und zu guten Lösungen führen, sind gut. Streit gehört zur Demokratie dazu - und erst recht zu einer Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien.

Frage: Die Idee, sichtbarer zu werden in der Regierung und liberale Positionen entschiedener zu vertreten, ist ja nicht neu. Nur hat sie bislang nicht funktioniert, jedenfalls nicht gemessen in Wahlergebnissen. Laufen Sie nicht lustvoll gegen die immer wieder gleiche Wand?

Djir-Sarai: Ich habe eine sehr pragmatische Sicht auf Politik. Eine Partei, die Teil einer Regierungskoalition ist, muss die Probleme des Landes lösen. Das ist das einzig Relevante.

Frage: Dass die Auseinandersetzungen in der Koalition teilweise so hart waren, hat sich für die Ampel aber nicht ausgezahlt.

Djir-Sarai: Dem Land hat es genutzt, dass die FDP etwa beim Heizungsgesetz nicht geschwiegen hat. Sonst hätte es ein Gesetz gegeben, das vorne und hinten technisch nicht funktioniert und die Menschen wirtschaftlich und finanziell überfordert hätte.

Frage: Selbst Ihr Parteichef hat mal gesagt, man wolle in Zukunft leiser streiten.

Djir-Sarai: Man kann immer an der Lautstärke arbeiten. Aber wir sollten nicht übersensibel sein. Am Ende des Tages müssen gute und pragmatische Lösungen gefunden werden. Das zeigt sich beispielsweise beim Thema Migration. Da haben wir lange an Lösungen gearbeitet und schließlich etwas erreicht, was es im letzten Jahrzehnt nicht gab: eine Einigung auf europäischer Ebene. Dafür waren harte Auseinandersetzungen notwendig.

Frage: Die Bürger scheinen mäßig beeindruckt zu sein, sonst käme die Ampel nicht zusammen auf die gleiche Zustimmung wie die Union allein.

Djir-Sarai: Umfragen sind Momentaufnahmen. Ich glaube, wenn wir uns auf die Lösung der Probleme konzentrieren, dann sprechen die Ergebnisse für sich. Und wenn wir es schaffen, dass das Land wieder gut dasteht, dann ist das für alle Akteure dieser Koalition gut.

Frage: Vom Straucheln der Ampel profitiert auch die AfD. Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die drei Wahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen in 2024?

Djir-Sarai: Schlussendlich hilft nur gute Politik. Es gibt zahlreiche zentrale Herausforderungen, bei denen die Menschen das Gefühl haben, dass die Politik die Kontrolle verloren hätte.

Frage: Meinen Sie die Migration?

Djir-Sarai: Zum Beispiel. Da muss nun der praktische Beweis geliefert werden, dass die Politik es kann. Auf europäischer Ebene wurde bereits Historisches erreicht – auch wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass es Zeit braucht, bis die Wirkung spürbar ankommt.

Frage: Die Europawahl im Juni wird von manchen Bürgern als Gelegenheit zur Protestwahl verstanden. Was für einen Wahlkampf wollen Sie führen?

Djir-Sarai: Wir nehmen die Europawahl sehr ernst, und wir haben mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine politische Persönlichkeit als Spitzenkandidatin, die Politik nicht nur inhaltlich beherrscht, sondern auch extrem kampagnenfähig ist. Die FDP ist eine proeuropäische Partei, aber wir wollen Europa natürlich besser machen. Fast 60 Prozent der Bürokratie in Deutschland hat ihren Ursprung in EU-Gesetzgebung. Hier muss sich dringend etwas ändern. Wir erwarten zudem, dass die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der CDU endlich eine Politik macht, die dem Wirtschaftsstandort Deutschland nicht schadet. Auch sollte Europa sich auf die großen Themen konzentrieren, etwa die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Das sind Bereiche, die Marie-Agnes Strack-Zimmermann auch aufgrund ihrer Funktion als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in- und auswendig kennt. Wir wollen aber auch deutlich machen, was für eine große Bedeutung die EU für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger hat. Ich kann nur davor warnen, die Europawahl als eine Protestwahl zu betrachten.

Frage: Den Grünen, an denen die FDP sich ja so gerne abarbeitet, haben inzwischen eine relativ stabile Stammwählerschaft. Unter allen drei Ampel-Partnern haben sie - gemessen an ihrem Bundestagswahlergebnis – am wenigsten Zustimmung verloren. Warum gelingt es der FDP nicht, einen ähnlich festen Wählerkreis davon zu überzeugen, sie sicher über die Fünf-Prozent-Hürde zu tragen?

Djir-Sarai: Entscheidend ist doch, was 2025 bei der nächsten Bundestagswahl passiert. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die FDP wieder ein zweistelliges Ergebnis holt. Ein Selbstläufer ist das natürlich nicht, sondern es setzt harte Arbeit voraus: gute Kommunikation, viel Geduld – und die Umsetzung einer Politik, von der wir überzeugt sind.

Frage: Aber ist die ewige Fixierung der FDP auf die Grünen klug? Am Ende müssen sie mit ihnen weiterregieren.

Djir-Sarai: Eine Fixierung sehe ich nicht. Unsere Aufgabe als FDP ist es, Probleme zu lösen und unsere Überzeugungen zum Wohle des Landes umzusetzen. Das hat weder etwas mit den Grünen, der SPD, der CDU oder einer anderen Partei zu tun. Aber natürlich ist es so, dass die FDP nicht die absolute Mehrheit im Bundestag hat. Kompromisse gehören zur Politik dazu, man muss sie der eigenen Anhängerschaft dementsprechend erklären. Im Übrigen: Auch in einer schwarz-gelben Koalition könnte die FDP nicht permanent die reine Lehre durchsetzen.

Frage: Trotzdem gelten Sie als jemand, dem Schwarz-Gelb grundsätzlich näher wäre als Rot-Grün-Gelb.

Djir-Sarai: Das stimmt.

Frage: Wie schwer fällt Ihnen Ihr Job vor diesem Hintergrund manchmal?

Djir-Sarai: Ich bin sehr gerne Generalsekretär. Es gibt Wochen, da bin ich mehr General, und es gibt Wochen, da bin ich mehr Sekretär. Das ist der Job des Generalsekretärs einer Regierungspartei. Ein Generalsekretär in der Opposition hat eine ganz andere Aufgabe.

Frage: Wäre Ihnen die manchmal lieber?

Djir-Sarai: Nein. Wer in der Politik aktiv ist, möchte gestalten. Wer Freiheit will, muss auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen.