BUSCHMANN-Interview: Wir müssen den bürokratischen Druck von der Wirtschaft nehmen.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann gab der „Welt am Sonntag“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Jacques Schuster.
Frage: Herr Buschmann, Sie haben der Koalition vor der Sommerpause empfohlen, in der zweiten Hälfte der Legislatur die Wirtschaftspolitik ins Zentrum zu rücken. Was wird der Justizminister dazu beitragen?
Buschmann: Unserer Wirtschaft fällt es bei der bürokratischen Last zunehmend schwer zu atmen. Viele Unternehmen leiden unter einem regelrechten Bürokratie-Burn-out. Wir müssen diese Erschöpfungssymptome ernst nehmen und Druck von den Unternehmen nehmen. Die viele Regeln auf europäischer, auf Bundes- und auf Landesebene beanspruchen so viel Zeit und Anstrengung, dass sich Unternehmen zu wenig um ihr Kerngeschäft kümmern können. Das ist ein Wachstumshemmer. Wir bereiten gerade Eckpunkte für ein Entlastungsgesetz vor, wie Unternehmen von einem Teil der Bürden befreit werden können, die der Bund bislang auferlegt hat.
Frage: Das wird das vierte Bürokratie-Entlastungsgesetz seit 2015. Wirtschaft und Bürger haben von den ersten dreien wenig gespürt. Warum sollte das jetzt anders sein?
Buschmann: Wir werden mit unserem Entlastungsgesetz und dem Wachstumschancengesetz von Finanzminister Lindner ein stattliches Volumen an Entlastung erreichen. Mit den Beschlüssen, die wir kommende Woche bei der Kabinettsklausur in Meseberg fassen wollen, leiten wir eine Trendwende ein: Weg von bürokratischem Aufwuchs, hin zu Entlastung und Freiraum. Aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Ich könnte mir etwa ein System vorstellen, das der Managementdenker Fredmund Malik eine „systematische Müllabfuhr“ nennt: Regelmäßig müssen wir prüfen, welche Regeln und Auflagen wirklich notwendig sind, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Man könnte etwa vorübergehend Vorschriften aussetzen, um dann zu analysieren, ob dies zu größeren Verwerfungen führt – oder ob nicht eine endgültige Aufhebung möglich ist. Und wir müssen mit dem Bürokratieabbau auf anderen Ebenen weitermachen: Viele Vorschriften kommen aus Europa. Zusammen mit Wirtschaftsminister Habeck will ich mit der EU-Kommission darüber sprechen, wie Bürokratie systematisch auch auf dieser Ebene abgebaut und die Schaffung neuer Bürokratie vermieden werden kann. Bürokratieabbau ist kein abgegrenztes Projekt, sondern eine Daueraufgabe.
Frage: Ziehen die Kabinettskollegen mit?
Buschmann: Die wirtschaftliche Stärkung unseres Landes wollen alle. Für unsere Eckpunkte sind wir jetzt auf der Zielgeraden. Mit den Vorhaben aus Meseberg werden wir den Bürokratiekosten-Index auf den niedrigsten Stand drücken, den er jemals hatte. Das wird spürbar. Aber es gibt auch Kollegen, die jetzt zum Entlastungsgesetz wenig zuliefern, aber mit eigenen Initiativen in ihren Geschäftsbereichen bürokratischen Ballast abwerfen wollen. Darüber hinaus bin ich beispielsweise mit Robert Habeck im Gespräch, der das Vergaberecht anpacken will. So richtig durchatmen werden wir allerdings erst, wenn wir substanziell auch auf europäischer Ebene etwas bewirken. Ich werbe dafür, die Idee des Bürokratiekosten-Index auf die EU und die Bundesländer zu übertragen. Jeder könnte dann sehen, ob er steigt oder fällt – und wer dafür verantwortlich ist. Diese Transparenz ist ein starker Anreiz, um das Problem ernsthaft anzugehen.
Frage: Ihr Anliegen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, wird von den Grünen offenbar nicht geteilt. Oder wie erklären Sie sich das Veto von Familienministerin Lisa Paus gegen ein von Finanzminister Lindner vorgelegtes Gesetz zur Entlastung der Unternehmen?
Buschmann: Ich würde da nicht pauschal von den Grünen sprechen. Der Wirtschaftsminister hatte ja bereits grünes Licht gegeben, ehe Frau Paus dann wieder die Stopptaste gedrückt hat. Wichtig ist, dass das Wachstumschancengesetz jetzt schnell kommt. Bei unserer wirtschaftlichen Lage können wir uns keine weitere Verzögerung leisten.
Frage: Sie arbeiten ja auf verschiedenen Feldern mit Ihrer Kollegin Paus zusammen, unter anderem auch bei der Abfassung des Unterhaltsrechts. Wie läuft das?
Buschmann: Ein wichtiges gemeinsames Projekt ist das Selbstbestimmungsgesetz. Das war diese Woche im Kabinett. Da haben wir intensiv zusammengearbeitet. Wir haben nun einen guten Entwurf hinbekommen, der Diskriminierung beseitigt, aber Missbrauch ausschließt. Für das Unterhaltsrecht liegt die Federführung bei meinem Haus. Aber auch da werden wir professionell zusammenarbeiten. Wir müssen das Familienrecht dringend auf die Höhe der Zeit bringen. Das Unterhaltsrecht geht noch immer von der alten Vorstellung aus: Einer betreut, einer zahlt. Diese Regel entspricht längst nicht immer der Lebenswirklichkeit. Heute werden viele Kinder von beiden Eltern betreut – auch nach einer Trennung. Genau dies muss sich im Unterhaltsrecht abbilden. Unser Entwurf ist ein Entwurf für Kinder und ihre Eltern.
Frage: Gegen das Selbstbestimmungsgesetz hatte das Bundesinnenministerium lange Bedenken. Die beziehen sich wohl auf Fragen, wie man mit Straftätern umgehen soll, die vor oder nach der Verurteilung ihr Geschlecht neu bestimmen wollen. Teilen Sie diese Bedenken der Kollegin Faeser?
Buschmann: Wir haben alle Bedenken genau analysiert und uns Zeit genommen, um das Gesetz gründlich vorzubereiten. Wir haben nun selbst für theoretische Fragen Regelungen geschaffen, etwa: Was geschieht, falls die ausgesetzte Wehrpflicht wieder aktiviert werden sollte? Auch die Punkte, die das Bundesinnenministerium formuliert hat, sind berücksichtigt. Straftäter werden dieses Gesetz nicht missbrauchen können, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Das war natürlich in unserem gemeinsamen Interesse.
Frage: Wie wollen Sie den aktuellen Umfragewerten der AfD entgegenwirken?
Buschmann: Als Minister setze ich mich mit parteipolitischen Fragen nicht auseinander. Aber die Umfragewerte der AfD treiben mich als Abgeordneten natürlich um. Nach all dem, was ich aus der empirisch fundierten Wissenschaft höre, gibt es dafür zwei Treiber. Das eine ist das Thema Migration. Das gehen wir als Ampel entschlossener an als die Große Koalition. Innenministerin Faeser hat einige Ideen zu schärferen Abschieberegeln vorgelegt, die nun von den Bundesländern bewertet werden müssen. Und wir haben in der EU endlich eine klare deutsche Haltung zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem formuliert – nach sieben Jahren des Streits.
Frage: Und der zweite Treiber?
Buschmann: Die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft dieses Landes. Ich kann uns allen als seriösen Demokraten nur einen Wettbewerb um gute Vorschläge zur Lösung dieses Problems empfehlen. Wir müssen dieses Land auf Kurs bringen, damit Menschen, die täglich zur Arbeit gehen, sicher sein können, dass sie auch noch in zwei, drei, fünf oder zehn Jahren einen Arbeitsplatz haben. Sie sollen das Vertrauen gewinnen, dass es auch ihren Kindern in Zukunft gut geht – und sie nicht eines Tages ein sozialer Abstieg ereilt.